Vergewaltigungsvorwurf vom TischИзнасилование обвинение из таблицы

– Verteidiger Dr. Hartmann und Dr. Fricke widerlegen Angaben des Opfers –

Ein Aufsehen erregender Strafprozess mit Vergewaltigungsvorwurf ist am vergangenen Freitag, den 21.3.14 vor dem Landgericht Berlin in erster Instanz zu Ende gegangen. Aktenzeichen: (517)284 Js 1223/13 KLs (24/13). Die 17. große Strafkammer hatte über einen Fall zu befinden, in dem dem Angeklagten Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen wurde (§§ 177, 224 StGB). Bei dem mutmaßlichen Opfer handelte es sich um eine lesbische Frau, die nach eigenem Bekunden seit zwölf Jahren keinen sexuellen Kontakt zu Männern gehabt hatte.

Bei Prozessauftakt hatte die Berliner Tageszeitung „BZ“ getitelt:

 http://www.bz-berlin.de/tatorte/gericht/vergewaltigte-er-eine-lesbische-frau-article1772866.html

Die Tat spielte sich im Umfeld des Berliner Trinkermillieus ab. Treffpunkt der Gruppe war der S-Bahnhof Schönhauser Allee. Hier traf man sich im Sommer des Jahres 2013 fast täglich, und zwar ließ ein Großteil der Gruppe hier die Methadon-Einnahme wirken, die von einer in der Nähe praktizierenden Ärztin regelmäßig an Substituierungs-Patienten verabreicht wird. Die Belastungszeugin nannte dies „das Meta kommen lassen“. Es handelte sich also bei der Mehrzahl der Mitglieder der Gruppe um ehemals Heroin-Abhängige, die nun in hohem Maße und täglich und jeweils ab vormittags Alkohol konsumieren. Getrunken wurde  in der Gruppe nach Angaben einer Zeugin ausschließlich Bier und „Hubertus-Tropfen“. So auch am Tattag.

Der Täter, der nicht zu den Methadon-Patienten gehörte, war erstmals an dem Bahnhof und hatte die Gruppe gerade erst näher kennen gelernt. Man kannte sich zuvor nur vom Sehen und vom Hörensagen. So war einer der anwesenden Frauen bekannt, dass es sich bei dem späteren Beschuldigten um einen vorbestraften Sexualstraftäter handelte. Dies entsprach den Tatsachen: Der Mann war im Jahre 2003 (rechtskräftig seit 22.6.2004, LG Berlin, A.Z. (504) 70 Js752/02 KLs (10/03)) unter anderem wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt worden. Die Strafe ist vollständig verbüßt worden.

Der spätere Beschuldigte war, als er am Mittag des 19.6.13 zu der Gruppe stieß, bereits stark angetrunken. Er äußerte nach der Erinnerung einer anwesenden Zeugin gegenüber mehreren weiblichen Mitgliedern der Gruppe, dass er diese „auch alle noch ficken“ werde. Diese Äußerungen und das Wissen um das Vorleben des Angeklagten veranlasste eine der Frauen, den anderen weiblichen Anwesenden eine Warnung zukommen zu lassen. Diese sollten sich nicht zu nahe mit dem Angeklagten einzulassen, da es sich um einen vorbestraften Sexualstraftäter handele. Die Androhungen seien daher ernst zu nehmen.

Dies hinderte das spätere Opfer, eine lesbische Frau, jedoch nicht, sich mit dem Täter per S-Bahn zu dessen Wohnung  am Treptower Park zu begeben. Dort wollte man weiter trinken. „Alle halten mich doch für einen Mann“ erklärte die große, maskulin wirkende Frau ihre Arglosigkeit. Bei ihrer Zeugenvernehmung im Prozess beschrieb die Zeugin sodann den weiteren Verlauf. In der Wohnung sei der zunächst sehr freundliche, menschliche Angeklagte plötzlich völlig verändert aufgetreten. Es sei zu der Tat gekommen, nachdem der Täter sein Opfer geschlagen, gewürgt und mit dem Tod bedroht habe, wenn es nicht aufhöre zu schreien. In einer „Raucherpause“ sei dem Opfer dann die Flucht aus der Wohnung gelungen, wobei es komplett nackt auf die Straße lief. Zufällig anwesende Nachbarn versorgten die Frau zunächst mit Bekleidung und riefen die Polizei. Diese konnte den Tatverdächtigen festnehmen, als dieser sich gerade aus einem Fenster schwang und zu flüchten versuchte.

Zum Prozessauftakt wurde zunächst neben dem bereits beigeordneten Rechtsanwalt Dr. Henning Hartmann noch dessen Kollege und Partner, Rechtsanwalt Dr. Andreas Fricke (ebenfalls aus der Kanzlei Dr. Hartmann & Partner) als Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies u.a. wegen der großen Bedeutung, die der Prozess für alle Beteiligten hatte. Im Vorfeld hatte unter anderem die Berliner Zeitung „B.Z.“ in der unten abgebildeten Form getitelt und so den Eindruck erweckt, eine Verurteilung wegen Vergewaltigung sei nur noch Formsache. Doch dann kam alles ganz anders.

Nachdem zu Anfang noch die Anordnung von Sicherungsverwahrung (§ 64 StGB) im Raume stand (also de facto eine lebenslange Haftstrafe), wurde der Angeklagte am Ende in den wichtigsten Punkten freigesprochen. Aber der Reihe nach.

Über 16 Prozesstage hinweg wurden insgesamt 23 Zeugen und fünf Sachverständige gehört, um zunächst einmal den Sachverhalt aufzuklären. Hierbei fiel zunächst auf, dass die Hauptzeugin, das mutmaßliche Vergewaltigungsopfer, an ganz wesentlichen Punkten Aussagen tätigte, die schlicht nicht stimmen konnten. Die Widersprüche zwischen dem, was die Belastungszeugin in ihrer Vernehmung nach der Tat äußerte und dem, was sie im Prozess erklärte bzw. was die Beweiserhebung ergab, waren frappierend. Hier eine kleine Auswahl der aufgetretenen Widersprüche:

„Er wollte mich vergewaltigen“ habe die Frau nach ihrer Flucht nach Aussage mehrerer Zeugen lauthals gerufen. Später korrigierte sie ihre Einlassung dahin, dass die Vergewaltigung komplett vollzogen worden sei. Zwischenzeitlich verwendete sie auch die Formulierung „ich werde vergewaltigt“, und im Krankenhaus hat die Zeugin nach Aussage der behandelnden Ärztin gar nicht mehr von Vergewaltigung gesprochen, sondern geäußert: „der hat mich angefasst“. Insgesamt gab es also VIER unterschiedliche, von der Belastungszeugin geschilderte Versionen dazu, was denn nun in der Wohnung geschehen sei.

Stichwort Vollzug: Nachdem die Frau zunächst mehrfach bei der Polizei beschrieben hatte, dass der Angeklagte „auf mir drauf gelegen hat und seinen Penis in mich hinein gedrückt“ habe, war hiervon im Prozess keine Rede mehr. Sie habe die ganze Zeit auf ihm sitzen müssen. Hierzu habe sie der Mann mit Worten und durch Festhalten gezwungen. Sie selbst habe sich nie in Rückanlage befunden.

Der Angeklagte habe auch versucht, sie anal zu vergewaltigen, sagte die Zeugin bei der Polizei aus. Später im Prozess rückte sie hiervon ab. Es sei lediglich zu einer vaginalen, nicht aber analen Penetration gekommen.

Bis hin zu Details wie dem Krankenhaus, in das die Zeugin nach dem Tatgeschehen gebracht wurde, gehen die Widersprüche. Die Zeugin war sich sicher, direkt in die Charité gebracht worden zu sein. Aktenkundig und nachweisbar ist aber, dass zunächst das Urbankrankenhaus in Kreuzberg angesteuert wurde.

Und die Unwahrheiten in der Aussage der Belastungszeugin gehen weiter. Sie sei von der ehemaligen Lebensgefährtin des Angeklagten nach der Tat angerufen worden und diese habe das Gespräch eingeleitet mit den Worten „ich habe das auch mit dem durch, mich hat er auch vergewaltigt“.

Sodann wurde eben diese ehemalige Lebensgefährtin gehört. Und es kam zum nächsten Paukenschlag: kein Wort von dem sei wahr, bekundete die Ex des Angeklagten. Das Telefonat habe es zwar gegeben. Niemals habe sie aber behauptet, von dem Angeklagten vergewaltigt oder in irgendeiner Form sexuell genötigt worden zu sein. Der Angeklagte sei niemals grob zu ihm gewesen. Im Gegenteil, sie, die Zeugin, habe den Angeklagten oftmals „in ihr Bett zerren“ wollen, weil er nicht sehr oft Lust auf Sex gehabt habe, erschöpft von der Arbeit gewesen sei. Das Sexualleben sei ansonsten völlig normal gewesen. Die gepflegt wirkende, glaubhaft erscheinende Frau zeichnete ein völlig anderes Bild von dem Angeklagten. Betroffenheit im Saal.

Kein Kontakt zu anderen Männern? Auch diese Behauptung der Belastungszeugin erwies sich als unwahr. Sie hatte steif und fest behauptet, seit über zehn Jahren keinen sexuellen Kontakt mit einem Mann gehabt zu haben. Die Lebensgefährtin der Belastungszeugin berichtete dann aber freimütig darüber, dass es da sehr wohl eine Affaire mit einem anderen Mann gegeben habe, und zwar vor etwa drei Jahren.

Und hier schlichen sich auch bei dem Gericht erste Zweifel ein, ob denn die Tatschilderung des Opfers so stimmen kann. Das Gericht folgte der Argumentation der Verteidigung und zog auch in Erwägung, ob denn die lesbische Belastungszeugin möglicherweise deswegen das Ganze als Vergewaltigung bezeichnet hat, weil ihr so die Beichte eines sexuellen Kontakts zu einem Mann gegenüber ihrer Lebensgefährtin leichter fällt. Denn einen solchen Kontakt und eine solche Beichte hatte es ja vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gegeben.

Respekt ist daher dem Gericht (der 17. großen Strafkammer des LG Berlin) zu zollen, das den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ an dieser Stelle ordnungsgemäß umsetzte.

Insgesamt wurde von Verhandlungstag zu Verhandlungstag deutlicher, dass die – methadonsubstituierte und seit Jahrzehnten vollständig von Sozialleistungen lebende – Belastungszeugin buchstäblich jede Gelegenheit nutzte, sich in die Rolle des Opfers zu flüchten. Und einen Grund zu haben, Ansprüche stellen oder Vorwürfe gegen andere erheben zu können. Sie forderte nämlich auch € 8.000,- Schmerzensgeld von dem Angeklagten.

Wie sich diese Widersprüche und Ungereimtheiten auf den Prozessverlauf ausgewirkt haben? Zunächst wurde um Einiges gründlicher bei sämtlichen zur Verfügung stehenden Zeugen nachgefragt, ob das geschilderte Vergewaltigungsgeschehen der Wahrheit entsprechen kann. Hierbei wurde deutlich, dass zwar eine konfuse Wahrnehmung bei der Zeugin bestand, letztlich aber der Vollzug des Beischlafs – in welcher Form auch immer – als erwiesen gelten muss. Diese Mängel bei der „Aussagekonstanz“ führten aber dazu, dass nach Ansicht des Gerichtes nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der sexuelle Kontakt freiwillig war. Die Folge: es blieb nur eine (einfache) Körperverletzung und eine Nötigung übrig, die mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten geahndet wurde. Es bleibt nun mit Spannung abzuwarten, ob die Entscheidung rechtkräftig wird. Am Freitag, 28.3.14 läuft die Frist für die Einlegung der Revision ab. 

Aktenzeichen des Landgerichts Berlin: (517) 284 Js 1223/13 KLs (24/13)

„Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig, da sowohl Staatsanwaltschaft, als auch Verteidigung ihre vorsorglich eingelegte (und im Falle der Verteidigung auch begründete) Revision zurückgenommen haben.“

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